Anmerkungen zum Begriff und zur Geschichte der SCHIETGÄNG

„Dat weer de Schietgäng eer schönstes Pläseer…“

(Textzeile aus dem Lied vom ‚Hamborger Veermaster’)

1. Begriffserklärung 2. Schietgänger 3. Kedelklopper
4. Wie die Schietgäng zu ihrem Namen kam 5. Nachbemerkung

1. Begriffserklärung

Der Begriff stammt aus der Mitte des 19. Jhdts. Und setzt sich aus den beiden Wortteilen ‚Schiet’ (nord-/platt-deutsch) und ‚Gang’(engl.) zusammen
a) Schiet ist plattdeutsch und bedeutet schlicht, einfach und direkt: Scheiße.
So ist das ‚Schiethuus’ eben das Örtchen zum Erledigen des ‚Geschäftes’. Gleichzeitig bedeutet Schiet aber auch Schmutz, Dreck und Unrat.
Im Plattdeutschen klingt vieles indirekter und daher eher liebevoll, wie zum Beispiel: ‚Mein Schieter’, ‚Schietbüdel’ – beides Kosenamen für den oder die Liebste! Schietgeld ist eine Schmutzzulage.

b) Gäng (seltener Geng (2) geschrieben!) kommt von dem englischen Wort ‚Gang’.
Der englische Begriff Gang steht für Gruppe, Schar, Kolonne, aber auch für Bande und Rotte. Frei übertragen: eine eingeschworene Gemeinschaft.

c) Als Schietgänger bezeichnete man die Männer, die im Hafen für die – im weitesten Sinne – Reinigung der Schiffe zuständig waren. Sie waren die Schiffsputzer, die die Drecksarbeit zu erledigen hatten, wenn das Schiff vor Anker lag und entladen war. Eine besondere Gruppe, besser Untergruppe sozial-hierarchisch gesehen, waren dabei die Kedelklopper.

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2. Schietgänger

Die Arbeit der ‚Schietgängs’ ist um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden.  Segelschiffe wurden durch die schnelleren und effektiveren Dampfschiffe verdrängt. Die Kessel der Dampfschiffe mussten durch die Schietgäng-Arbeit der Kesselklopfer von ihrem aggressiven Kesselstein-Belag befreit werden. Passierte dies nicht, konnten die Kesselrohre porös werden. Hinzu kam, dass durch thermische Spannungen Placken des Steins vom Kessel abplatzten. „Wegen des darauf am blanken, heißen Stahl explosionsartig verdampfenden Wassers, konnten durch den entstehenden Überdruck die Rohre und Teile des Kessels zum Bersten gebracht werden.“, schreibt Spurzem. (3)

Während längerer Liegezeiten der Dampfer, je nach Art der Fracht bis zu zehn Tagen, wurden die Kessel regelmäßig zum Abschlagen des Kesselsteins abgestellt. Drei Tage dauerte es, bis die heißen Tanks so weit abgekühlt waren, dass die Kedelklopper durch die engen, ovalen Öffnungen in die Kessel hineinkrabbeln konnten.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die von 1879–1900 in Deutschland stattgehabten Dampfkesselexplosionen und die dabei verunglückten Personen:

Tabelle der Kesselexplosionen
Kesselsteinexplosionen (4) waren gefürchtet und forderten viele Opfer.

Dass Schietgänger auch als ‚Schwarze Gäng‘ bezeichnet wurden, geistert zwar durch die Literatur, ist wohl unzutreffend. ‚Schwarze Gäng‘ nannte man im Allgemeinen die Zollkontrolleure und Zollbeamten, die

a) durch ihre schwarzen Mäntel auffielen und

b) sich bei ihren Kontrollen bis in die hintersten Ecken und Verstecke hinein, schmutzig und dreckig machten.

Auf dem Weg zur Arbeit!

Von ihrer sozialen Stellung im Hafen her, gehörten sie zur unteren Schicht der Hafenarbeiter. Dementsprechend war ihre Entlohnung. Die Arbeit war Drecksarbeit. Häufig waren es zugereiste Arbeitslose (z.B. Polen), die sich für die Aufgabe verdingten.

Aber so ähnlich dürften die Schietgänger vermutlich ausgesehen haben. 5

Auswanderwillige nahmen den Schietgäng-Job an, um damit ihre Überfahrt zu finanzieren.
Die soziale Hierarchie, auch innerhalb der Schietgäng (sie war beileibe keine geschlossene (Berufs-) Gruppe!), wird deutlich, wenn man sich die Unterstützungskasse während des großen Streiks im Hamburger Hafen 1896/97 anschaut. Das allgemeine Streikgeld betrug 8.- Mark pro Woche. Schauerleute erhielten 4,20 Mark. Die unterste Gruppe der Schietgänger, nämlich die Kedelklopper bekamen gerade mal 2,00 Mark. 6

1895 gab es im Hamburger Hafen mehr als 1.000 Schietgänger. Von ca. 25.000 Hafenarbeitern waren ungefähr 400 Kedelklopper und weitere 650 Schiffsreiniger und Anstreicher.

Einer der bekanntesten Schietgänger war der Theaterschiff ‚DAS SCHIFF’ Gründer Eberhardt Möbius. Er hatte sich mit dieser Gelegenheitsarbeit in den 50ern finanziell über Wasser gehalten. Kein Wunder, dass er später am ARD Film ‚Mensch, Berni…’, über 3 Schietgänger im Hamburger Hafen, die nicht nur mit dem Dreck zu kämpfen hatten, sondern auch Menschlich-Allzumenschliches auszufechten hatten, beteiligt war. 7

Nebenbei bemerkt: den ‚Restauratoren’ der RICKMER RICKMERS wurde mit dieser Tafel an Bord ein besonderes Denkmal gesetzt.

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3. Kedelklopper

Die am schlechtesten bezahlten und schlimmsten Arbeiten hatten die Kesselklopfer, die Kedelklopper,  zu leisten. Ihre Aufgabe war es, die Wände der Schiffskessel der Dampfschiffe von den Rückständen im Inneren der Kessel zu befreien. Anfangs wurde mit Hammer und Meißel gearbeitet; später wurden für die Drecksarbeit Schlag- (Pressluft-) Hammer verwendet.

Besonders interessant ist, dass die Kedelklopper eine eigene (Geheim-) Sprache hatten. 8 Dass diese nicht unbedingt einheitlich praktiziert wurde, erfahren wir ausführlich durch das sprach-informative Buch von Klaus Siewert über ‚Die Kedelkloppersprook’. 9

mit seinem Text zur Melodie von Rudolf Ehrich (eigenltlich: Ehrlich!) ‚Die Stiefelputzer’(1904) gesetzt.
Der in Altona am 16.11.1876 geborene Volkssänger Wittong 10 reimte:

Lied der Kedelklopper 11

Det Morgens schon um halbig soß,
Dann könnt ji uns all sehn
Dann goht wi hen no Blohm un Voß,
Uns Geld dor to verdeen.
Een Rundjer und een blaue Büx,
De Mütz ganz kühn im Nacken,
Getränk und Brot sin in de Tasch,
Een grote Tüt vull Swatten.
Und all di lütten Deerns, ach,
De seuten, de seuten,
De doht wie dann ropen
Un fleuten, jo fleuten:
„Hanne, Mitje und Stine“,
De Gassenhauer kenn‘ ick all‘,
Dat is jo grod mien Fall.
Refrain:
Ick bin een Hamborger Kedelklopper,
Ick arbeit‘ dröb’n bi Blohm un Voss,
Bin krüzfidel un jümmers propper,
Kau Swatten und hefft schändlich Dost.
Det Sünndags ober fein in Schale,
Dat treue Mäken dann im Arm,
Als bess’rer Lord in jedem Saale,
Find’t man von uns so’n ganzen Swarm…

Und goht wie dann to Danz ok mol,
Det Sünndags gegen tein,
Denn geiht dat no de Elbhall‘ hen,
Mit Hannes, Fritze, Hein.
Natürlich sauber und vull Schick,
Dorin sind wi jo groot,
Feinen Antog, baschen Schlips,
Und ok een eischen Hot,
Und dann nimmt jeder
Sien Mäken, sien Mäken,
Dor givt dat nich veel
To bespräken, bespräken.
„Mitje kumm, wüllt mol scherbeln“,
Und speelt se dann so’n baschen mol,
Dann schuwt wi beide dorch den Sool.
Refrain:…

Das Lied wurde schon um 1900 im Hafen und in den einschlägigen Etablissements (‚Elbhalle’ im Hafenviertel, ‚Café Kaiser’ am Schulterblatt in Eimsbüttel, ‚Universum’ am Spielbudenplatz, in der ‚Flora’ Sternschanze und im ‚Kaffee-Kabarett Wilhelmshalle’ an der Reeperbahn) von Charly Wittong vorgetragen. 1925 wurde es erstmals auf Schallplatte gepresst.

Die ersten vier Zeilen des letzten Refrains singt Wittong übrigens in der Kedelklopper-Sprache 12:
Refrain:…
Wi sünd Amborgerhi Etelki-Opperkli,
wi arbeit`t öbendri bi Ohmbli und Ossvi,
sünd üzfidelkri un ümmer opperpri,
kaut Attenswi un hebt ändlischi Ostdi.

Siewert betont in seinem Buch, dass es sich bei dieser Schallplatte um das weltweit früheste Zeugnis einer Geheimsprache handelt.

Hier ein Bild der Platte von Hans Albers:

Natürlich gehört dieses Couplet von den ‚Hamborger Kedelkloppern’ auch zum Repertoire der ‚Hamborger Schietgäng’.

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4. Wie die ‚Hamborger Schietgäng’ zu ihrem Namen kam

Unsere Musik-Truppe wurde im September 2008 auf eine Idee von JOCHEN WIEGANDT hin, gegründet. Das Hamburger Urgestein hatte diverse, gestandene Hamburger Musiker zusammengerufen, um mit ihnen seine Projekt-Idee einer ‚Shanty-Gruppe mit modernem Anstrich’ zu realisieren.

Die Gruppe einigte sich sehr schnell auf den Namen ‚Plenty Of Shanty’, unter dem schon kurz darauf der erste Auftritt in ‚Planten & Blomen’ stattfand.
Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die Mitglieder mehr wollten, als ausschließlich auf Shanties festgelegt zu werden. Die Gruppe verstand sich von ihrem Selbstverständnis her, eher als das Gegenstück eines Shanty-Chores, eher als Anti-Shanty-Mannschaft. 13
Der eigentliche Name ‚Hamborger Schietgäng’, entstand durch rege Mail-Diskussion, in der die Zuordnung ‚Band’ abgelehnt wurde und der Begriff ‚Gäng’ ins Spiel gebracht wurde. Einer von der Truppe hatte nämlich immer Freitagabend mit der kleinen Tochter ‚Sandmännchen’ geguckt. Und immer freitags gab es ‚Die obercoole Südpol-Gäng’ zu sehen.

Wie auf dem Bild zu erkennen, gab es gewisse Berührungspunkte!

Aufgegriffen wurde der Bestandteil ‚Gäng’, dem dann – naheliegenderweise – sehr schnell ‚Schiet’ vorangestellt wurde. So wurde die Band zur ‚Schietgäng’ und im nächsten Schritt nach dem Vorbild vom ‚Hamborger Veermaster’ zur ‚HAMBORGER SCHIETGÄNG’.

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5. Nachbemerkung

Dieser Artikel erhebt nicht den Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Der aber trotzdem – hoffentlich ein bisschen – Wissen schafft! Die verwendeten Bilder und Fotos sind ggf. geschützt. Rechteinhaber melden sich bitte bei mir.

Schietgänger Andreas Werling, Tel. 693 76 76
im Mai 2013 (aktualisiert April 2015)

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1 „Dat Deck weer vull Isen, vull Schiet un vull Smeer…“, heißt es vorher;
in Varianten weiter: „,Rein Schipp’ weer de Schietgäng eer schönstes Pläseer“
Der Text findet sich unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Hamborger_Veermaster
2 Schmachthagen, Peter: Sprechen Sie Hamburgisch?, Teil 1, Aufl. 4, Hamburg 2011
3 Ausführlich dazu: Karl J. Spurzem in seinem Artikel für die Zeitschrift MARE, Feb. 2008, Heft 66.
4 http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Dampfkesselexplosion
5 Es handelt sich auf diesem Foto vermutlich um Lagerarbeiter oder Schauerleute.
Ich wollte es trotzdem zeigen: das Bild mit seinem Untertitel war so schön!
6 Ausführlich hierzu Punkt 2.3. unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Hafenarbeiterstreik_1896/97
7 BRD 1982, Regie: Joachim Hess
8 vergl. ‚Sprechen Sie Hamburgisch’
9 Siewert, Klaus: Die Kedelkloppersprook – Geheimsprache aus dem Hamburger Hafen, Hamburg 2002
10 Vergl. dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Charly_Wittong
sowie: Rau, Jürgen: Hamburg, Deine Perlen, S. 196 f.
11 Ausführlich dazu mit Noten: Wiegandt, Jochen: Singen Sie Hamburgisch?,  Hamburg 2013, S. 98-102
12 Vergl. dazu : http://nds.wikipedia.org/wiki/Kedelkloppersprook
und: http://de.wikipedia.org/wiki/Kedelkloppersprook
13 Zwischen- und kurzzeitig war die seute Deern SUELY LAUAR mit an Bord. Sie sollte als musikalische Leiterin Zucht und Ordnung in den zusammen gewürfelten Haufen bringen. Was natürlich unter diesen Männern als einzige Frau auf Dauer nicht funktionierte. Sozusagen war: Frau Lauar für die Schietgäng nicht von Dauer!
Es ist übrigens, wie das Hamburger Abendblatt nach einem Interview mit ihr schrieb, nicht zutreffend, dass sie die Gründerin der Schietgäng war. Sie kam erst zum 2. Treffen dazu!